Exkursion 2018 nach Wien

Was hat Wien, was Erlangen nicht hat?

Natürlich die berühmten Fiaker oder den Stephansdom – aber es gibt noch eine Menge anderer interessanter Dinge, die es wert sind, diese Stadt zu besuchen.

Fast jedes Jahr organisiert die Bürgerinitiative „Umweltverträgliche Mobilität im Schwabachtal“ eine Reise in eine Stadt, die eine Mobilitätspolitik verfolgt, die Vorbildcharakter hat. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der BI im März 2018 stand dieses Jahr eine größere Reise bevor. Die Wahl fiel auf Wien und so machten sich 24 Mitglieder der BI Schwabachtal und des VCDs auf den Weg, um die Donau-Metropole vom 10. bis 13. Mai zu Fuß, mit dem Rad und natürlich mit den „Öffis“ zu erkunden.

Neuer Stadtteil – nachhaltig geplant

Ein erster Schwerpunkt war die Seestadt Aspern, ein ehrgeiziges großes Stadtentwicklungsprojekt, 25 U-Bahn Minuten vom Zentrum Wiens entfernt. Hier sollen einmal 25.000 Menschen leben und ebenso viele Arbeitsplätze entstehen. Bei der Planung wurde von Anfang an Wert darauf gelegt, den Fuß- und Radverkehr sowie umweltfreundliche Verkehrsformen zu fördern. Zwei Drittel des Straßenraumes sind z.B. den Fußgängern und Radfahrern vorbehalten. Anders als bei den umliegenden Einfamilienhaussiedlungen wird in der Seestadt ein städtebauliches Konzept verfolgt, das auf hohe bauliche Dichte und gleichzeitig attraktive Freiräume setzt. Rund um den neu angelegten See (mit Badewasserqualität!) entstehen urbane Wohnblöcke, überwiegend im geförderten Wohnungsbau. Nach dem Vorbild gründerzeitlicher Quartiere sind für die Erdgeschosse größere Geschosshöhen vorgegeben, um Laden- und Gewerbeeinheiten zu ermöglichen und so zur Belebung des Viertels beizutragen. Schulen und Kindergärten entstehen ebenso wie Freizeiteinrichtungen und ein Campus der Religionen.

Das berühmte 365,- € Ticket – ein Erfolgsmodell

Bei einem Empfang im Rathaus Wien erklärte der Wiener Stadtrat der Grünen, Rüdiger Maresch, das Erfolgsrezept der „anderen“ Verkehrspolitik: eine Mischung aus günstigen ÖPNV-Tickets und konsequenter Parkraumbewirtschaftung. Möglich gemacht wird das durch die klare politische Zielsetzung: „Vorrang für nachhaltige Verkehrsarten“. Eine eigene städtische Mobilitätsagentur kümmert sich seit 2011 um Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation für das Zu-Fuß-Gehen und Radfahren in Wien. Darüber hinaus ist sie Anlaufstelle für alle Fragen und Anliegen zum Thema Fuß-und Radverkehr in Wien. Mit einer aktiven Mobilitätspolitik ist es in Wien gelungen, den Anteil der umweltverträglichen Verkehrsmittel am Modal Split drastisch zu erhöhen. Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs ist von 38 % aller Wege im Jahr 2010 auf nur noch 27 % im Jahr 2017 gesunken. Der Autobesitz in der Stadt ist von 394 auf 371 je 1.000 Einwohner zurückgegangen (Zum Vergleich:  Erlangen 565!).
Wesentlichen Anteil hat die als „Wiener Modell“ bekannte Jahreskarte für jedermann für werbewirksame 365 € im Jahr. Für umgerechnet einen Euro am Tag kann das gesamte Stadtgebiet befahren werden. Die Hälfte aller Haushalte besitzt inzwischen eine Jahreskarte. Esther Schuck, Vorsitzende der BI Schwabachtal ist überzeugt: „Das Wiener Modell ließe sich auch auf den VGN übertragen. Der ÖPNV ist bei uns einfach zu teuer. Das Geld, das immer noch in Dieselsubventionen fließt, sollte die Bundesregierung besser für höhere Zuschüsse für Busse und Bahnen ausgeben. Dann wäre auch bei uns ein 365,- Euro Ticket möglich.“

Die „Öffis“ riefen mit ihren günstigen Tarifen und dem hervorragenden Netz durchaus Neidgefühle bei den fränkischen Reiseteilnehmern hervor. Da war es schon fast eine kleine Genugtuung, auf einer geführten Radtour durchaus noch Mängel bei der Wiener Radwege-Infrastruktur zu „erfahren“. Roland Romano, Sprecher der „Radlobby“ Wien, zeigte gelungene Radwegelösungen, aber auch die Schwachstellen und informierte über Ziele des Verbandes. Wien sei beim Radverkehr auf einem guten Wege, aber es gäbe noch einiges zu tun – so empfanden es auch die Erlanger, die in diesem Punkt „ihre“ Heimatstadt eindeutig als Gewinner sahen.

Fotos oben: privat, BI Umweltverträgliche Mobilität im Schwabachtal e.V.

  • Stadtführung-Wien auf verschlungenen Wegen

  • Radtour entlang der Karlskirche in Wien

  • Modell der Seestadt Aspern

  • Moderne Bauweise in der Seestadt Aspern

  • Lastenrad in der Wiener Innenstadt

  • Gemeinsame Fahrbahn-Bus&Rad

  • Ladezone in der Mariahilfer Straße

Fotos Slideshow: privat BI Umweltverträgliche Mobilität im Schwabachtal e.V.
Diagramme: Wiener Linien

Eine neue Stadt entsteht

In der künftigen Seestadt Aspern sollen einmal 25.000 Menschen leben und ebenso viele Arbeitsplätze entstehen. Das  größte Stadtentwicklungsprojekt Österreichs soll einen Teil des Zuzugs nach Wien auffangen und bezahlbaren Wohnraum schaffen. Das 240 ha große ehemalige Flugfeld liegt östlich der Donau, ist aber mit einer 25-minütigen U-Bahn-Fahrt an die Innenstadt angebunden.

Anders als bei den umliegenden Einfamilienhaussiedlungen wird in der Seestadt ein städtebauliches Konzept verfolgt, das auf hohe bauliche Dichte und gleichzeitig attraktive Freiräume setzt. Rund um den neu angelegten See (mit Badewasserqualität!) entstehen urbane Wohnblöcke, überwiegend im geförderten Wohnungsbau. Nach dem Vorbild gründerzeitlicher Quartiere sind für die Erdgeschosse größere Geschosshöhen vorgegeben, um Laden- und Gewerbeeinheiten zu ermöglichen und so zur Belebung des Viertels beizutragen. Schulen und Kindergärten entstehen ebenso wie Freizeiteinrichtungen und ein Campus der Religionen. Um schon früh die Nahversorgung vor Ort zu gewährleisten, werden die Betriebe finanziell unterstützt, bis eine ausreichende Tragfähigkeit durch neue Bewohner gegeben ist.

Straße fair teilen

Die Planung ist auf die Förderung des Fuß- und Radverkehrs sowie umweltfreundlicher Verkehrsformen ausgerichtet. Für die Gestaltung des öffentlichen Raums wurde das Büro des Architekten Jan Gehl beauftragt. Als Richtschnur gilt, dass dem nicht-motorisierten Verkehr 2/3 des Straßenraums zur Verfügung stehen sollen, dem PKW nur 1/3. Die Straßen und Plätze der Seestadt sind nicht für dauerhaftes Parken ausgelegt. Teilweise liegen Sammelgaragen, auch für die Fahrzeuge von Beschäftigten und Gästen, im Inneren der Baublöcke. Die Hofflächen erhalten bei diesem Haustyp damit ein gegenüber der Straße erhöhtes Niveau.

Die Zahl der nachzuweisenden Stellplätze wurde zugunsten eines Mobilitätsfonds reduziert. Daraus wird u.a. ein Verleihsystem für Pedelecs einschließlich Lastenrädern finanziert. Die – in Hochlage verkehrende – U-Bahn wurde bereits vorlaufend zur Bebauung fertiggestellt. Mit dem weiteren Baufortschritt sind 6 Bus- und 2 Straßenbahnlinien geplant. Durch Ausbau der S-Bahn sollen künftig der Wiener Hauptbahnhof in 15 Minuten und die Nachbarstadt Bratislava in 30 Minuten erreichbar sein.

Neues Raumerlebnis

Überragender Eindruck beim Besuch war das Fehlen des sonst typischen Blechgürtels aus geparkten PKW entlang der Straßen. Schmale Fahrspuren tragen zur Dämpfung der Geschwindigkeit bei. Der Aufenthalt auf und die Überquerung der „Verkehrsflächen“ geraten so zu der Selbstverständlichkeit, die sie eigentlich sein sollten.

Gute Angebote in fußläufiger Entfernung und eine attraktive ÖPNV Anbindung lassen einen eigenen PKW oft überflüssig werden. Kritisch – und im ursprünglichen Konzept nicht vorgesehen – ist allerdings die nun geplante zusätzliche Schnellstraßenanbindung. Der Anreiz zur PKW-Nutzung droht das innovative Mobilitätskonzept zu konterkarieren.

https://www.aspern-seestadt.at/

Das Wiener Erfolgsmodell

Mit einer aktiven Mobilitätspolitik ist es in Wien gelungen, den Anteil der umweltverträglichen Verkehrsmittel am Modal Split drastisch zu erhöhen. Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs ist von 38 % aller Wege im Jahr 2010 auf nur noch 27 % im Jahr 2017 gesunken. Der Autobesitz in der Stadt ist von 394 auf 371 je 1.000 Einwohner zurückgegangen (Zum Vergleich: Nürnberg 546, Fürth 559, Erlangen 565!).

Wesentlichen Anteil hat die als „Wiener Modell“ bekannte Jahreskarte für jedermann für werbewirksame 365 € im Jahr. Für umgerechnet einen Euro am Tag kann das gesamte Stadtgebiet befahren werden. Die Hälfte aller Haushalte besitzt inzwischen eine Jahreskarte. Busse und Bahnen sind damit und dank des dichten Netzes ohne Umstände zu benutzen. Auch in zufällig mitbekommenen Gesprächen in der Bahn wurde häufig das gute Angebot gelobt.

Zusätzlich wurden die Parkraumbewirtschaftung räumlich ausgeweitet und die Tarife angehoben. Zielgröße war, dass 1 Stunde Parken teurer ist als eine Einzelfahrt mit dem ÖPNV. Durch die Einführung von flächendeckendem Tempo 30 konnte außerdem die Zahl der Verkehrstoten halbiert werden.

Die Verkehrsbetriebe standen dem Modell zunächst ablehnend gegenüber, weil sie Einnahmeausfälle befürchteten. Durch die große Zahl an verkauften Abonnements werden diese aber wieder aufgefangen. Außerdem hat die Zahl der Schwarzfahrten deutlich abgenommen. Allerdings sind aufgrund der großen Nachfrage auch Ausweitungen des Angebots erforderlich: Bei unserem Besuch wurde u.a. an Haltestellen damit geworben, dass die Wiener Linien nun 10.000 neue Plätze anbieten.

Beim Ausbau des ÖPNV setzt die Zwei-Millionen-Stadt vorrangig auf die Erweiterung der U-Bahnen. Für deren Ausbau zahlen die Unternehmen eine eigene U-Bahn-Steuer in Abhängigkeit von der jeweiligen Lohnsumme. Das Straßenbahnnetz wird vor allem auf tangentialen Linien und als Zubringer erweitert. Sehr positiv bleiben auch die dichten Taktzeiten bis spät in den Abend im Gedächtnis. Und damit wird keineswegs nur „heiße Luft“ transportiert, vielmehr bewahrheitet sich: Gute Angebote finden ihre Nutzer.

Der Kostendeckungsgrad des ÖPNV liegt – politisch gestützt – in Wien „nur“ bei rund 50 % (zum Vergleich: Die VAG Nürnberg muss über 70 % ihrer Einnahmen aus dem Fahrscheinverkauf decken). Die gesamte Stadt profitiert jedoch von weniger Autoverkehr und dem guten ÖPNV-Angebot. Im Wiener Mobilitätskonzept wird angestrebt, dass die Bürgerinnen und Bürger bis 2025 80 % ihrer Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln, auf dem Rad oder zu Fuß zurücklegen. Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs soll bis dahin auf 20 % weiter zurückgehen. Die in Wien damit erreichte hohe Lebensqualität belegt, dass damit die richtigen Prioritäten gesetzt werden.

Flaniermeile Mariahilfer Straße

Die auf Wienerisch „MaHü“ genannte Straße verbindet als wichtige Einkaufszone die westlichen Vororte mit der Innenstadt. Im Abschnitt zwischen Westbahnhof und Ringstraße wurden dort früher 70.000 Kfz pro Tag gezählt. Heute ist sie ein prominentes Beispiel für die geplanten „Flaniermeilen“, stadtweite Verbindungen mit besonderer Qualität für den Fußverkehr.

Dazu wurde Durchgangsverkehr herausgenommen und die Straße verkehrsberuhigt umgebaut. Im zentralen Abschnitt ist eine klassische Fußgängerzone entstanden, daran anschließend jeweils eine „Begegnungszone“ mit Einbahnregelung für Kfz und einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 km/h. Geplant wurde nach dem Prinzip, den Fußgängern ein Maximum an Platz zur Verfügung zu stellen. Da unter der Straße die U-Bahn verläuft, konnte die grundsätzliche Aufteilung des Straßenraums nicht verändert werden. Die von den Bürgern gewünschten zusätzlichen Bäume mussten in eigens bewässerten Hochbeeten gepflanzt werden.

Der Fahrbahnbereich ist ohne Randsteine durch einen geänderten Bodenbelag kenntlich gemacht. In der Fahrgasse sind Lieferzonen markiert, aber keine ständigen Parkplätze vorhanden. Entlang der Fassaden sind 3 m frei von Außenbestuhlung und Geschäftsauslagen zu halten. Außenaufsteller dürfen nicht mehr als 1 m² pro Geschäft einnehmen. Außerdem wurde versucht, die Beschilderung zu minimieren und an bestehenden Masten zu konzentrieren. Damit soll der Bewegungsraum für die Fußgänger freigehalten werden.

Diesem Ziel dient auch das in Österreich generell geltende Verbot, Fahrräder in Fußgängerbereichen außerhalb von Abstellanlagen abzustellen. Das gelingt allerdings in der Praxis nur bedingt. Zusätzliche Ansperrbügel sollen demnächst nachgerüstet werden.

Eine Besonderheit stellen die speziellen Querungshilfen für Sehbehinderte dar. Bei der Planung wurden Bedenken geäußert, dass diese Menschen aufgrund der fehlenden Bordsteinkante durch den Fahrverkehr gefährdet würden. Nun führen Leitbänder zu Ampeln, die mit einem Chip („Eurokey“) aktiviert werden können. Sie schalten dann auf „Rot“ für Autos und Radler und ermöglichen eine sichere Überquerung.

Der Umbau der Straße war im Vorfeld heftig umstritten und ist bei zwei Abstimmungen von den Bürgern der angrenzenden Bezirke nur knapp befürwortet worden. Inzwischen liegt die Zustimmung zum Projekt bei rund 70%.

Radlobby Wien:
https://www.radlobby.at/

Wien Stadtentwicklungspolitik:
https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/strategien/step/step2025/

Mobilitätsagentur Wien:
https://www.mobilitaetsagentur.at/

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